Das Motiv des Wirbels, das seit 2016 im Mittelpunkt des Werks von Gudrun Klebeck steht, zieht schon aufgrund seiner Dynamik den Blick auf sich, noch bevor man sich der stilistischen und medialen Besonderheiten dieser Bilder bewusst geworden ist. Die suggestive Form des Wirbels löst so viele Assoziationen aus verschiedenen Kontexten aus, dass man sich dem Bedürfnis, sie genauer zu definieren, kaum entziehen kann. Was sind das für Gebilde? Handelt es sich dabei um Wasser, das aus einem Waschbecken abfließt? Sind es Verwirbelungen in fließenden Gewässern, wie sie Leonardo da Vinci schon vor über 500 Jahren gezeichnet hat, oder etwa Wirbelstürme, aus großer Höhe gesehen? Vielleicht sogar schematisch dargestellte Spiralgalaxien im All? So hartnäckig sich solche Vorstellungen an ihr Motiv knüpfen, so beharrlich verweigern die Arbeiten von Gudrun Klebeck jede Möglichkeit, sie gegenständlich zu bestimmen. Denn es handelt sich dabei in erster Linie um abstrakte grafische Form- und Bewegungsmotive, und als solche ziehen sie das Auge des Betrachters in spiraliger Bewegung ins Zentrum hinein, dorthin, wo paradoxerweise die Turbulenz zum Stillstand kommt und mitten im Geschehen einen Ruhepunkt bietet. Da die Wirbelformen in Klebecks Arbeiten – bei genauer Betrachtung sind es nur drei verschiedene, die immer variiert werden – elliptisch verzogen sind, wecken sie die räumliche Vorstellung perspektivischer Verzerrung. Zugleich aber verweigern sie sich als in der Fläche verankerte Strukturen einer konsistenten räumlichen Lesbarkeit.
Der Gegensatz von Flächigkeit und Raumillusion wird durch die Art, wie die Wirbelformen im Bildfeld positioniert werden, noch gesteigert. Bei jenen Arbeiten, in denen sie von mehr oder minder monochromen, mit Acrylfarben gemalten Flächen eingefasst werden, kommt der starke Kontrast von Bewegtheit und Ruhe, von Diffusion und Fokussierung hinzu. In all diesen Gegensatzpaaren kommt die grundlegende Eigenheit von Wirbeln zum Tragen, die Gudrun Klebeck mit künstlerischen Mittel auslotet: das Zusammentreffen von Chaos und Ordnung. Wirbel lösen zwar bestehende Ordnungen in chaotischer Weise auf, unterliegen aber selbst strukturellen Gesetzmäßigkeiten.
Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass den Wirbelzonen eine andere Medialität zugrunde liegt als den gemalten Partien, und dass beide Bildkomponenten jeweils auf verschiedenen Bildträgern sitzen. Die Wirbelformen hat die Künstlerin auf fotografischer Basis erstellt, am Computer bearbeitet und auf textile Gewebe gedruckt. Diese werden in die entsprechend beschnittenen Leinwände eingesetzt und rückseitig fest mit ihnen vernäht. Die Technik der „Implantation“ (foto)grafischer Partien in die bemalte Leinwand hat Gudrun Klebeck bereits in ihrer Studienzeit erarbeitet und seither immer weiter entwickelt und auf ihr Potenzial hin befragt. Bildmontage nennt sie die Kombination von Fotodruck und Acrylmalerei, ein Verfahren, das für sie nichts anderes als eine Erweiterung der Malerei darstellt.
Dass es Gudrun Klebeck in der Tat primär um Malerei und deren spezifische Fragestellungen geht, wird unzweifelhaft an jenen Bildern deutlich, deren malerischer Gestus sich als Fortsetzung des grafischen Wirbelmotivs zu erkennen gibt. Diese Bilder wirken so, als hätte die malende Hand seinen Bewegungsimpuls aufgenommen und weitergeführt, sich dabei jedoch die Freiheit genommen, die grafische Struktur nicht etwa zu imitieren, sondern in die Autonomie von Farbigkeit und gestischer Pinselführung zu übersetzen.
Eine besondere Stellung kommt der Arbeit mit dem Titel „Welle“ zu, die aus fünf vertikalen Leinwänden zusammengesetzt ist. Mit einem Format von 210 mal 242 Zentimetern handelt es sich dabei um das mit Abstand größte Bild der Wirbel-Reihe. Bemerkenswert ist hier, wie die Felder mit den Wirbelformen in unterschiedlicher Breite ausgeführt und in verspringender Höhe in das Gesamtbildfeld eingesetzt wurden. Durch diese Variationen, die Verdrehungen und Beschneidungen des identischen Ausgangsmotivs sowie das Mittel der Schwarz-Weiß-Umkehrung ergibt sich insgesamt eine rhythmisch gegliederte oder synkopierte Gesamtform, an der das Auge unablässig entlang wandern kann. Die fünf Einzelelemente addieren sich zu einer Reihe, die ein wenig an das aus der Strömungsmechanik bekannte Motiv der Kálmánschen Wirbelstraße mit ihren gegenläufig drehenden Verwirbelungen erinnert. Der Malerei kommt dabei die Aufgabe zu, dieser komplexen Bewegungsfolge einen großen, sanft ausschwingenden Resonanzraum zur Seite zu stellen. Insbesondere am unteren Rand der blassgelben Fläche kann man deutlich sehen, wie vielschichtig die Farbe aufgetragen ist, die der Welle der Wirbelformen einen sanften Widerhall bietet.
Besonders augenfällig sind jene Arbeiten, bei denen als Ausgangsmaterial farbige Fotodrucke verwendet wurden. Da die Rot-Grün-Kontraste der spiraligen Wirbelformen auch in der gestischen Malerei aufgenommen sind, verfließen in der Betrachtung immer wieder die Grenzen zwischen den beiden Bildkomponenten. Farbe, Farbkontrast und Gestus, klassische Themen der Malerei, gewinnen hier die Oberhand und dominieren die Bildwirkung. Trotz des kleinen Formats von nur 40 mal 40 Zentimetern gewinnen diese Bilder somit eine starke, weit auf die angrenzende Wandfläche ausstrahlende Präsenz.
Peter Lodermeyer